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Am 20. Juni 1819 wird in Köln am Rhein dem gelernten Buchbinder und umtriebigen Musiklehrer, dem späteren Kantor der dortigen jüdischen Gemeinde, Isaac Offen-
bach, und seiner Frau Marianne, der Tochter des Geld-wechslers Moses Rindskopf, am Großen Griechenmarkt Nr. 1 das siebte Kind, der zweite Sohn geboren, der den Namen Jacob erhält. Das Kind wächst in einer beschei-
denen, aber liebevollen und eminent musikalischen Um-
gebung auf, in der es selbstverständlich ist, zum Gottes-
dienst in der Synagoge wie zum Tanz in der Kneipe aufzuspielen. Ab Mitte der 1820er Jahre bewohnt die Familie eine bescheidene Kantorendienstwohnung in der Glockengasse.
Abbildung: 1839 -
Jacobs erklärtes Lieblingsinstrument ist das Cello, seine Lehrer Joseph Alexander (1772–1840) und Bernhard Breuer (1808–1877) gelten als Kapazitäten ihres Fachs. Breuer, Komponist einer „Karnevalsoperette“, Die Kölner in Paris, gibt seinem Schützling wohl auch Kompositionsunterricht. Zumindest ist ihm 1833 Jacobs Opus 1, ein kammermusikalisch besetztes Divertimento über Schweizerlieder, gewidmet.
Im gleichen Jahr bringt der Vater den 14jährigen, dessen erkennbarem Talent die Kölner Verhältnisse nicht mehr genügen, zusammen mit dem älteren Bruder Juda (Julius, später Jules) nach Paris, wo er, obwohl Ausländer, Schüler am berühmten Conservatoire wird. Die unter Luigi Cherubinis berüchtigter Leitung stehende Anstalt besucht er aber nur für ein Jahr, da er für die wichtigen Preiswettbewerbe nicht zugelassen ist. Er spielt Violoncello in diversen Theaterorchestern, u.a. dem der Opéra-Comique, und erlangt als Komponist von Walzern für die Sensationsbälle der Kapellmeister Jullien und Musard (Fleurs d’hiver – Winterblumen 1836, Les Trois Grâces – Die drei Grazien 1838), als Komponist sentimentaler Salonromanzen (Jalousie! – Eifersucht! 1839, À toi – Für dich 1844, aber auch von sechs Fabeln nach Lafontaine 1842) eine gewisse Bekanntheit, als Cellovirtuose sogar eine gewisse Berühmtheit. Er knüpft wichtige Bekanntschaften, so zu Friedrich von Flotow (1812–1883); der berühmte Komponist der (grand) opéra La Juive, Fromental Halévy (1799–1862), gibt ihm privaten Kompositionsunterricht. Offenbach schreibt ca. drei Dutzend Cello-Duette für die eigene Unterrichtspraxis, die zum Teil heute noch von Solisten gespielt werden; dazu gängige Salonstücke für Cello und Klavier wie Introduction et valse mélancolique 1839, eine Musette 1843, Deux âmes au ciel – Zwei Seelen im Himmel 1844, La Course en traîneau – Die Schlittenfahrt 1849, Les Larmes de Jacqueline – Die Tränen der Jacqueline 1851, Harmonies du soir – Abendklänge 1852.
In Abständen konzertiert er in Köln, und der junge Mann, der sich in Paris Jacques nennt und genau den gefühlvollen Romanzenton findet, zu dem die wohlhabende Damenwelt dort schmachtet und in Ohnmacht fällt, führt 1843 in Köln eine Ouvertüre für großes Orchester auf, die ein Meisterstück deutscher Romantik ist, d.h. jenes Stils, mit dem er aufgewachsen ist: Weber vor allem, neben Mozart sein musikalischer Abgott. 1845 entsteht ein Celloquartett, 1847 ein großes Cellokonzert für den eigenen Gebrauch, das Concerto militaire, das in den letzten Jahren als ein bedeutendes Werk der nicht gerade üppig vorhandenen Sololiteratur für dieses Instrument wiederentdeckt wird.
Die Februarrevolution 1848 in Frankreich macht nicht nur weit fortgeschrittene Opernpläne (La Duchesse d’Albe – Die Herzogin von Alba) zunichte, sondern vertreibt ihn für ein Jahr ganz aus Paris. Mit Gattin Herminie (geb. d’Alcain), einer gebürtigen Spanierin, der zuliebe er 1844 katholisch geworden ist, und dem Töchterchen Berthe bezieht er ein kleines Zimmer in Köln. Hier am Rhein ist die Revolution etwas gemütlicher als an der Seine, wo die Zweite Republik im Juni einen Arbeiteraufstand blutig niederschlagen läßt. Offenbach schreibt in Köln deutschnationale Lieder und Chöre und spielt auf dem Cello seine Hommage an Rossinis Wilhelm Tell bei der 600-Jahrfeier zur Grundsteinlegung des Domes.
Aber es ist ihm klar, daß seine Zukunft in Paris liegt, der weltoffenen, relativ judenfreundlichen Kulturmetropole, wo der Neffe Napoleons, Louis-Napoléon Bonaparte, zum Präsidenten der Republik gewählt worden ist. Als dieser jüngere Bonaparte 1852 als Napoleon III. „Kaiser der Franzosen“ wird, also mit dem Zweiten Kaiserreich, be-ginnt Offenbachs große Zeit. Zunächst ist er Kapell-meister an Frankreichs renommiertester Sprechbühne, der Comédie-Française (1850–1855), dem „Hause Molières“, und widmet den attraktiven Actricen zehn Tänze für Klavier unter dem Titel Décaméron dramatique (1854). Aber das imponiert den Operndirektoren der Hauptstadt wenig. Und so eröffnet er, tatkräftig protegiert vom Grafen de Morny, dem Halbbruder des Kaisers, 1855 während der Weltausstellung ein eigenes kleines Theater mit zunächst noch eingeschränkter Lizenz und geringem Personal auf den Champs-Élysées: die „Bouffes-Parisiens“.
Die kleinen witzigen Stücke (Tromb-Al-Ca-Zar 1856, Le Savetier et le Financier – Schuster und Millionär 1856, Croquefer – Ritter Eisenfraß 1857), die zum Teil auch sentimental (Le Violoneux 1855) oder derb rustikal sind (La Rose de Saint-Flour 1856), patriotisch (Dragonette 1857), überdreht (Vent-du-Soir – Häuptling Abendwind 1857, für den sich Johann Nestroy erwärmte) oder aber im Stil der alten opéra-comique (Le Mariage aux lanternes – Die Verlobung bei der Laterne 1857), haben Erfolg, bei der kleinen wie der großen Welt: Es wird chic, in die Bouffes zu gehen. Für die Wintersaison eröffnet Offenbach einen zweiten, größeren Saal in der Passage Choiseul (wo das Haus noch heute besteht). Ludovic Halévy (1834–1908), der Neffe von Fromental Halévy, schreibt noch 1855 als 19jähriger für Offenbach den Einakter Ba-Ta-Clan, das Urbild der „Offenbachiade“, wie man später die Zeitsatire in Form des Musiktheaters nennen wird – ein Begriff, der die mißverständliche Bezeichnung „Operette“ noch heute vielfach ersetzt. Zusammen mit dem ehemaligen Organisten Florimond Ronger, genannt Hervé (1825–1892), hat Offenbach verstanden, daß die immer romantischer werdende opéra-comique das Bedürfnis nach wirklich heiterem, teils groteskem, teils satirischem Musiktheater nicht mehr bediente und hier eine „Marktlücke“ bestand. Er wolle das „genre primitif et vrai“ – das „ursprüngliche und wahre Genre“ wiederbeleben, schreibt er 1856 in einem heute immer wieder gern zitierten Aufsatz anläßlich eines Einakterwettbewerbs der Bouffes-Parisiens.
1858 fallen die behördlich verordneten Konzessionsbeschränkungen, und mit Orphée aux Enfers (Orpheus in der Unterwelt) entsteht die erste abendfüllende Offenbachiade, wenn man so will: die erste moderne „Operette“ der Musikgeschichte. Sie ist bis heute eines der meistgespielten Werke der Gattung geblieben, und besonders der „Höllen-galopp“, der „galop infernal“, hat dem Namen seines Schöpfers Unsterblichkeit verliehen.
Bis 1869, bis zum Ende des Kaiserreichs, entsteht nun die große Reihe der musika-lischen Zeitsatiren, die überall in Europa, ja in der ganzen Welt nachgespielt werden und Offenbach zum berühmten und reichen Mann, zu einer Persönlichkeit der Zeit-geschichte machen: Geneviève de Brabant (Genoveva von Brabant 1859/67/75), Le Pont des Soupirs (Die Seufzerbrücke 1861/68), La Belle Hélène (Die schöne Helena 1864), Barbe-Bleue (Blaubart 1866), La Vie parisienne (Pariser Leben 1866/73), La Grande-Duchesse de Gérolstein (Die Großherzogin von Gerolstein 1867), Le Château à Toto (Totos Schloß 1868), L’Île de Tulipatan (Die Insel Tulipatan 1868), La Périchole (1868/74), La Princesse de Trébizonde (Die Prinzessin von Trapezunt 1869), Les Brigands (Die Banditen 1869/78). Die Hauptlibrettisten sind der schon erwähnte Ludovic Halévy und dessen Schulkamerad Henri Meilhac (1831–1897), die später beide Mitglied der Académie française werden, Hector Crémieux (1828–1892, Charles Nuitter (1828–1899). Ihre Texte haben jene Qualität, die neben den zahlreichen Verächtern des angeblich „unmoralischen“ Genres immer wieder auch geistige Größen wie Karl Kraus (1874–1936) auf den Plan gerufen haben, sich mit dieser neuen Art von „Gesamtkunstwerk“ zu beschäftigen. Die Hauptdarstellerin Hortense Schneider (1833–1920) avanciert zur ersten Operettendiva der Musikgeschichte mit skandalträchtigem Lebenswandel. In der Garderobe der „Großherzogin von Gerolstein“ drängt sich zur Zeit der Pariser Weltausstellung 1867 die Prominenz Europas.
In diesen Jahren öffnen sich Offenbach auch die Opern-häuser, in Paris (mit dem freilich durchgefallenen Barkouf 1860, den Halberfolgen Robinson Crusoé 1867 und Vert-Vert 1869 an der Opéra-Comique; mit dem großartigen romantischen Ballett Le Papillon – Der Schmetterling 1860 auf eine Choreographie der berühmten Marie Taglioni [1804–1884] an der Opéra), aber auch in Wien mit Offenbachs einziger durchkomponierter grand opéra Die Rheinnixen (1864), wo sich schon die später in Hoffmanns Erzählungen berühmt gewordene Barcarole als Elfengesang findet. Auf Befehl des Kaisers wird Offenbach 1860 als Franzose eingebürgert und 1861 mit dem Band der Ehrenlegion dekoriert. Les Deux Aveugles (Die beiden Blinden), der Sensationserfolg vom Eröffnungsabend der Bouffes 1855, wird 1856 auf dem Pariser Kongreß, der den Krimkrieg beendet, gespielt; nach dem italienischen Feldzug 1859 ordnet Napoleon III. eine Benefizvorstellung des Orpheus im Théâtre-Italien an. Der Komponist erhält da-nach eine Bronzestatuette samt eigenhändigem Dankschreiben des Kaisers. Derlei hat Offenbach später geschadet, als man ihm eine zu große Nähe zum Regime vorwarf, was weder persönlich noch vom Gehalt der Offenbachiaden her stimmt, die seine Zeit immer zugleich kritisiert und verherrlicht haben – abgesehen davon, daß diese satiri-schen Werke nur ungefähr 10 % seines gesamten Bühnenschaffens von ca. 120 Werken (!) ausmachen. Ansonsten schreibt Offenbach weiter seine Grotesken (MM. Dunanan père et fils 1862, Les Géorgiennes – Die Georgierinnen 1864), seine heiteren Kleinode (Un mari à la porte – Ein Ehemann vor der Tür 1859, La Chanson de Fortunio – Fortunios Lied 1861, Monsieur Choufleuri – Salon Pitzelberger 1861, Monsieur et Madame Denis 1862), auch für seine Sommerfrische im noblen Bad Ems: Les Bavards – Die Schwätzerin von Saragossa (1862/63), Il Signor Fagotto (1863), Le Fifre enchanté – Der Regimentszauberer (1864/68), Coscoletto (1865), La Permission de dix heures – Urlaub nach dem Zapfenstreich (1867/73).
Die großen Erfolge Offenbachs in Paris, in der französischen Provinz und den Ablegern von Paris in Bad Ems, Bad Homburg oder Baden-Baden werden zu Exportschlagern in Berlin und Wien (wo sie Franz von Suppè und Johann Strauß zum Operettenkomponie-ren anregen), in London (wo durch Gilbert & Sullivan der englische Ableger der Savoy Opera entsteht), in Spanien (wo die neue Zarzuela um Barbieri, Chapí, Giménez etc. ohne Offenbach nicht denkbar ist), in Italien und Portugal, Rußland und den USA. Offenbach führt das für einen wohlhabenden Künstler damals typische Leben: eines braven Familienvaters mit fünf Kindern in einer großen Pariser Stadtwohnung (zuletzt am Boulevard des Capucines) und in einer schicken Villa „Orphée“ im normannischen Seebad Étretat, aber auch eines Mannes der zahlreichen Affären mit Darstellerinnen. Zulma Bouffar (1843–1909), die die meisten seiner Rollen kreierte, ist über Jahre hin seine Dauergeliebte, die er auch auf Reisen mitnimmt. Und Offenbach reist viel, ist scheinbar omnipräsent.
Mit der unbeschwerten Herrlichkeit und der „Weltherrschaft der Offenbachiade“ ist es zu Offenbachs Leidwesen mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 vorbei. Er verbringt die Zeit der bewaffneten Auseinandersetzungen und des blutigen Kommune-Aufstands wie ein Nomade in Italien, Spanien und Österreich. Nationalistische An-feindungen in Frankreich gegen den „deutschen Juden“ und „Spion Bismarcks“, in Deutschland gegen den „Vaterlandsverräter“ und das „Witzblatt des verlotterten Kaiserreichs“ machen ihm auf Jahre hin das Leben schwer. Seine melancholische, pazifistische Oper Fantasio (1872), eines seiner großen Meisterwerke, fällt durch.
Ganz allgemein haben sich die Zeit und ihre Mentalität geändert. Das Leben unter der Dritten Republik ist nüchterner geworden, das Amüsement weniger kritisch und weniger raffiniert. Im heiteren Musiktheater sind Buffoneske und Satire weniger gefragt als Historie, Folklore und kleine Laszivitäten. Offenbach muß sich den Tagesruhm nun mit anderen Operettenkomponisten teilen, etwa mit Charles Lecocq (1832–1918), den er einst, 1857, mit dem Kompositionswettbewerb der Bouffes-Parisiens zu entdecken half, oder mit Robert Planquette (1848–1903). Aber es ist nicht wahr, daß er außer Mode gekommen wäre: Seine Ausstattungsstücke („Feerien“) wie Le Roi Carotte – König Mohrrübe (1872), Le Voyage dans la lune – Die Reise in den Mond (1875) oder gar die Zweitfassung des Orpheus (1874), seine Einakter wie Pomme d’api (1874), seine Beiträge zur Renaissance der Spieloper wie La Jolie Parfumeuse (1873), Madame Favart (1878), La Fille du tambour-major (Die Tochter des Tambourmajors 1879), ja, auch seine „Semi-Offenbachiaden“ wie Boule-de-Neige (Schneeball 1871) oder Madame l’Archiduc (Frau Erzherzog 1874) erreichen respektable Aufführungsziffern – und das alles trotz zwischenzeitlichen Bankrotts seines Théâtre de la Gaîté (1875). Dieser unglücklichen Direktorenschaft verdanken wir immerhin, außer dem erwähnten zweiten Orpheus, die bemerkenswert düstere Schauspielmusik zu Victorien Sardous Historiendrama La Haine (Der Haß 1874). Um die Schulden aus dem Bankrott abzu-tragen, unternimmt Offenbach 1876 nolens volens eine – lukrative – Amerikatournee, die er in einem amüsanten Reisebuch (1877) beschrieben hat.
Sein künstlerischer Ehrgeiz aber hat mittlerweile ein neues Objekt gefunden, dem er sich wesensverwandt fühlt und dem er von anderen seit seiner Cellistenzeit zugeordnet worden ist: Jahrelang feilt er an seiner „phantastischen Oper“ Les Contes d’Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen) und vollendet sie, allen Widrigkeiten und Fährnissen zum Trotz, bis zu einem aufführungsreifen Zustand. Der schwer gichtkranke Mann stirbt aber in den Morgenstunden des 5. Oktober 1880, vier Monate vor der umjubelten Hoffmann-Premiere in der Opéra-Comique, deren Hauptlast der musikalische Nach-laßverwalter Ernest Guiraud (1837–1892) trägt. Offenbach hat dieses Werk, außer bei einigen Proben und Auditionen, nie gehört, und es wird immer unklar bleiben, welche endgültige Form er ihm gegeben hätte. Gerade dieses Fragmentarische reizt aber die Bühnenpraktiker bis heute und erfordert stets neue kreative Lösungen.
Zur Beerdigung am 7. Oktober 1880 kam „tout Paris“. Das 31. Linienregiment stand für den Komponisten der Großherzogin von Gerolstein Spalier. Über den sterblichen Überresten des schmächtigen Kantorensohnes aus Köln erhebt sich heute auf dem Montmartre-Friedhof ein Ehrengrabmal des Architekten Charles Garnier (1825–1899) aus schönem braunen Marmor, und die vornehme Büste aus der Werkstatt von Jules Franceschi (1825–1893) schaut obenauf irgendwohin in die Wolken über dem Pariser Leben.
(Peter Hawig)